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Wider den Dämmwahn

15. September 2011

Nachlese und Referate, 6. BDA-Symposium „Erst denken, dann dämmen“

Wider den Dämmwahn
Symposium zu quartiersübergreifenden Sanierungskonzepten

Fundamental ist die Klage über die uniforme Wärmdämmplatte, die sich allerortens dem vertrauten Bild der Städte bemächtigt. Ist nach all der Kritik eine Wende in Sicht, die das blinde Streben nach Energieeinsparung durch differenzierte und vor allem baukulturell qualitätvolle Konzepte ablöst?

Schottenhoefe_01
Schottenhoefe_01

Um tragfähige Alternativen zu formulieren, legte das von BDA und dem Brandenburger Infrastrukturministerium veranstaltete Symposium „Erst denken, dann dämmen“ den Fokus auf quartiersübergreifende Sanierungskonzepte. Diese verfolgen nicht die Optimierung des einzelnen Hauses durch eine maximale Außendämmung, sondern reduzieren in einer Gesamtbetrachtung den Primärenergiebedarf der Gebäude innerhalb eines Quartiers. Ihre Basis bilden Fernwärmeleitungen, die die Haushalte mit regenerativ erzeugter Energie versorgen, die energetische Kompensation zwischen Alt- und Neubauten oder Insellösungen mit Kraft-Wärme-Kopplung. So lässt sich der Sanierungsaufwand am einzelnen Gebäude stark begrenzen und damit kostengünstig und effizient darstellen.

Anforderungen der Wohnungswirtschaft und Städte
Das Symposium beschränkte sich nicht nur darauf, das gestalterische Potenzial derartiger Konzepte zu diskutieren, sondern erweiterte die Debatte um Anforderungen aus Sicht der Wohnungswirtschaft und der Städte. Maren Kern vom Verband der Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen verwies auf die immobilienökonomischen Implikationen der Sanierung des Wohnungsbestands und damit auf das Spannungsfeld zwischen gestalterischem Anspruch und Mietpreispolitik. Aufwendige Sanierungskonzepte werden nach ihrer Einschätzung nicht vom Markt honoriert und führen aufgrund steigender Kaltmieten zur Verdrängung einkommensschwacher Mieter. Gerade diese mit einer sozialen Ausrichtung vorgetragene Begründung zeigt den dringenden Bedarf für ein Sanierungsverständnis, das effizient und kostengünstig die Energiefrage löst und dabei auf Eingriffe in die Fassade aus baukulturellen und bauphysikalischen Gründen verzichtet.

RedeSippel
RedeSippel
Schottenhöfe Erfurt, EXP!ANDER Architekten BDA, Weimar Symposium in Potsdam

Dass die Refinanzierung über eine angepasste Miete möglich sein muss, unterstrich Hans-Jürgen Best als Stadtdirektor Essens. Dennoch müssen die Kommunen der Gefahr begegnen, dass mit diesem Argument das gewachsene Stadtbild einem billigen Dämmwahn geopfert wird. Er plädierte für Lösungen mit einer städtebaulichen Konzeption und für eine qualifizierte Kommunikation, um beispielsweise eine von Stadt und Wohnungsunternehmen gemeinsam getragene Quartiersentwicklungen zu erreichen.

Gute Beispiele
Können quartiersübergreifende Sanierungskonzepte diesen Anforderungen gerecht werden und eine Option für die gestalterische Lösung der Energieproblematik öffnen? Den gesamtstädtischen Bezug stellte Andreas Schulz, Bürgermeister von Hennigsdorf, mit dem Energiekonzept seiner Stadt her: Ein weitreichendes Fernwärmenetz stellt lokal erzeugte regenerative Energie zur Verfügung und schafft so die Voraussetzung für eine beispielhafte Sanierung: Der prägende Charakter der Wohnensembles aus den 1950er Jahren konnte bewahrt und die Mieterstruktur aufgrund moderat gestiegener Kalt- und Warmmieten erhalten werden.

Einen ästhetischen und energetischen Verbund im Quartier erreichen die von Matthias Schmidt, OSTERWOLD°SCHMIDT Architekten Weimar, vorgestellten Schottenhöfe in Erfurt. Der baufällige Altbaubestand wurde durch Stadtbausteine urban aufgewertet, die gestalterisch zwischen Alt und Neu vermitteln. Dank ihres geringen Energieverbrauchs gleichen sie die Verluste der sanierten Altbauten aus. So konnten die dämmenden Maßnahmen bei den Bestandsbauten auf ein Minimum reduziert und das historische Erscheinungsbild wieder hergestellt werden.

Eine Einheit aus Stadtentwicklung, Sozialfürsorge und Energiepolitik ist mit dem Weltquartier in Hamburg erreicht worden. Die Arbeitersiedlung aus den 1930er Jahren wurde durch die Architekten kfs krause feyerabend sippel Lübeck in ihrer Wohnqualität grundlegend verbessert. Das Ziel bestand darin, auch nach der Sanierung bezahlbare Wohnungen für die sozialschwachen Bewohner anzubieten und so einer Verdrängung vorzubeugen. Trotz des damit verbunden geringen Budgets gelang es, zusätzlichen Wohnraum durch Loggien und einen vergrößerten Grundriss zu schaffen und die Gebäude energetisch zu modernisieren. Künftig werden aufgrund der Versorgung des Quartiers mit regenerativer Energie die Betriebskosten weiter sinken.

Neukonzeption der Förderprogramme
Es sind Beispiele die belegen, dass die von der Politik angestrebte Steigerung der Sanierungsquote sowie die von Architekten und Denkmalschützern angemahnte baukulturelle Qualität intelligente Konzepte bedürfen. Die Zukunft gehört den quartiersübergreifenden Sanierungsstrategien, die die Energiefrage wieder als eine konzeptionelle Aufgabe begreifen. Ein entsprechendes Umdenken findet sich ebenso in der Förderprogrammatik auf Bundes- und Landesebene wieder: Ein neues Förderprogramm wird auf die energetisch Stadtsanierung abzielen und dabei die qualifizierte Beratung durch Architekten als Förderleistung anerkennen. Die Hoffnung scheint begründet, dass die uniforme Wärmedämmplatte neuen Ansätzen weichen wird.


Referate
zum Download:

Anforderungen an die energetische Sanierung aus Sicht der Wohnungswirtschaft
Maren Kern, Vorstand Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen, Berlin

Anforderungen an die energetische Sanierung aus Sicht der Architekten
Prof. Thomas Knerer, knerer und lang architekten BDA, Dresden

Anforderungen an die energetische Sanierung aus Sicht der Städte
Hans-Jürgen Best, Stadtdirektor Essen

Anforderungen an die energetische Sanierung aus Sicht der Stadtentwicklung (Publikaiton „Handlungsleitfaden zur Energetischen Stadterneuerung)
Prof. Dr.-Ing. Matthias Koziol, Institut für Städtebau und Landschaftsplanung, BTU Cottbus

Das gesamtstädtische Energiekonzept: Modelstadt Hennigsdorf
Andreas Schulz, Bürgermeister der Stadt Hennigsdorf

Die Einheit von Wohnqualität und Energieeffizienz: Weltquartier, Hamburg
Rainer Sippel, KFS Krause Feyerabend Sippel, Lübeck

Das Gesamtkonzept aus Alt- und Neubauten: Schottenhöfe, Erfurt
Matthias Schmidt, Osterwold & Schmidt – EXP!ANDER, Architekten BDA, Weimar
Erläuterungstext

Die präzise Bestandssanierung: Wohnbauten der Gründerzeit, Prenzlau
Christian Keller, Keller Mayer Wittig Architekten, Cottbus
Erläuterungstext


Kontakt
Bund Deutscher Architekten BDA
Bundesgeschäftsstelle
Lena Witte
Tel.   030 27 87 99 13
Fax   030 27 87 99 15
Mail 
Web www.bda-bund.de

Das Symposium fand in Kooperation mit dem Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft des Landes Brandenburg und dem Deutschen Städtetag statt.

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