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Charisma als Fundament, Gerd Pieper 1942 – 2023

21. Juli 2023

Foto Claudia Esch-Kenkel
Foto Claudia Esch-Kenkel
Am Senefelder Platz in Berlin aufgewachsen: Gerd Pieper

Bereits im Mai ist unser langjähriges Mitglied Gerd Pieper im Alter von 80 Jahren in Berlin verstorben.

Gerd Pieper, Jahrgang 1942 und aufgewachsen in Ost-Berlin, studierte in den 1960er Jahren an der Hochschule für Bauwesen Cottbus und an der Hochschule für Bauwesen Leipzig. Nach Stationen im Entwurfsbüro der Deutschen Reichsbahn und der Gesellschaft für Betriebsberatung des Handels, wirkte unter anderem im Architektenkollektiv Heinz Aust, Rolf Heider und Dr. Walter Herzog  an bedeutenden Großprojekten in Berlin mit.
Er war Mitglied im Bund der Architekten der DDR, in der Sektion Formgestaltung des Verbandes Bildender Künstler der DDR und seit 1991 im Landesverband des BDA Berlin.
Am 3. Juli 2023 wurde Gerd Pieper auf dem Friedhof I der Georgen-Parochialgemeinde beigesetzt.

Lesen Sie hier den Nachruf auf einen bemerkenswerten Kollegen von Matthias Thalheim:

Charisma als Fundament
Von der Hochschule weg, bei der Reichsbahn mit Kantinen-Projekten beauftragt, ahnt Pieper nicht, dass ihm dies Zugang zum imposantesten Bauvorhaben der DDR verschafft: Mit 26 tritt er der Gruppe um Walter Herzog, Heinz Aust und Rolf Heider bei, die für den Berliner Fernsehturm die Fußumbauung entwirft: Eine Pavillon-Triade mit luftigem Dach-Faltwerk. Pieper hat die Gastronomie auf der Kladde: Espresso, Stadtrestaurant, Tanzcafé.
Erfolg und Verve geben seinem Namen Klang im Baukombinat, in dem er angestellt ist. Auch beim Magistrat. Samt Bassstimme und Berliner Sarkasmus. Piepers Fähigkeit, die Gewerke zu dirigieren, kommt Projekten im „Palast der Republik“ und seinen Entwürfen für fünf Gaststätten zugute, die in Peter Behrens‘ „Alexanderhaus“ eingerichtet werden.
Ob kobaltblaue Fliesenwand oder großformatige Marmorpapiere – Pieper schafft es, diese Gasträume dem sozialistischen Einheits-Ocker und der Gardinen-Pflicht zu entziehen.
Unter seiner Leitung entstehen der Charité-Versorgungstrakt für 5.000 Essensteilnehmer und das Tierpark-Terrassencafé. Seine Neu-Einfriedung rettet 1983 den „Jüdischen Friedhof Weißensee“ vor Vandalismus: Da es an Maurern und Klinkersteinen mangelt, entwickeln Gerd Pieper und Christa Frenzel Ornament-Platten mit Menora-Motiv und sorgen mit Schmiedegittern für Sichtachsen.

Gerd Pieper/Bildstelle Bau- und Montagekombinat Ingenieurhochbau Berlin
Gerd Pieper/Bildstelle Bau- und Montagekombinat Ingenieurhochbau Berlin
Neueinfriedung Jüdischer Friedhof Berlin-Weißensee nach Gerd Piepers und Christa Frenzels Entwurf

Piepers kurz vor der Wende errichteter Casino-Sechsgeschosser an der Nordwest-Ecke: Leipziger-/ Friedrichstraße mit DDR-spezifischer Zentralverwaltung für Tanzsaal, Sauna, Spielbank und Nachtbars wird 1995 abgerissen. Als zehn Jahre davor das diagonale Eckgebäude – die Ruine des Kaufhauses Mädler –, dessen Gerippe 40 Jahre lang in den Ost-Himmel ragte, gesprengt werden soll, lässt Pieper den Stahl prüfen: Wiederaufbau möglich. Selbst wenn das von ihm entworfene Peking-Restaurant darin nicht mehr existiert – die Würde des Bauwerks hat er gerettet.

Matthias Thalheim, Juli 2023